Sechs Jahre nachdem ich selbst die Einführung von CCS (Carbon Capture and Storage) gefordert hatte, bin ich mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt, dass dies ein Fehler war. Warum dieser Sinneswandel?
Natürliche Senken versus CCS
Natürliche CO2-Senken wie Wälder, Böden, Moore, aber auch Algen könnten wesentlich mehr CO2 aufnehmen, wenn sie entsprechend gefördert und geschützt würden. Sämtliche organischen Materialien, Lebewesen, Pflanzen und Bakterien speichern den Kohlenstoff in ihren Zellen bis zu ihrem Zerfall in kleinere Kohlenstoffeinheiten. Die kleinsten sind dann Kohlendioxid oder Methan. Das kann bei Bäumen schon mal mehrere tausend Jahre sein. In Permafrostböden sind die Pflanzenreste bis zum ihrem Auftauen eingefroren. Auch in Mooren können diese Prozesse einsetzen, wenn man sie austrocknen lässt oder als Ackerfläche benutzt. Einfache Wiedervernässung würde hier die Abbauprozesse fast komplett stoppen. Diese natürlichen „Technologien“ verdienen mehr Aufmerksamkeit.
Leider passiert das nicht. Gleichzeitig rechnet aber auch der IPCC notwendigerweise damit, dass diese natürlichen Senken ihre CO2-Aufnahme mindestens verdreifachen in den nächsten Jahrzehnten, doch darüber spricht kaum jemand. Sie sind nicht Teil des Emissionshandels, und Bauern können durch naturnahe Aufforstung oder die Freigabe von Flächen keinen finanziellen Nutzen ziehen.
Beispielsweise könnte ein Hektar Wald jährlich etwa 10-25 Tonnen CO2 aufnehmen [3]. Deutschland ist zu 30% bewaldet, was etwa 11 Millionen Hektar entspricht [4]. Doch durch Abholzung, Waldsterben und Brände wird dieses Potenzial nicht annähernd ausgeschöpft. Bei Mooren verursacht landwirtschaftliche Umnutzung – also Trockenlegung – hingegen bis zu 40 Tonnen CO2 pro Hektar an Emissionen aufgrund der oben genannten Zerfallprozesse [5]. Natürliche Moore geben oft nur wenig Methan ab und binden CO2.
Weltweit werden absichtlich Wälder und Moore vernichtet, um Platz für Landwirtschaft zu schaffen[8]. Diese Zerstörung trägt massiv zum CO2-Ausstoß bei, während gesunde Wälder global hunderte Gigatonnen speichern könnten [6].
Gleichzeitig sollte man nicht vergessen, dass 99,9% des Kohlenstoffs der Erde – insgesamt mehrere hundert Millionen Gigatonnen – auch in der Lithosphäre als Sedimentgestein wie Kalk oder Dolomit gebunden ist – das sind Karbonate mit hohem Kalzium- und/oder Magnesium-Anteil. Über Jahrmillionen haben sich diese Karbonate aus marinen Organismen sowie durch natürliche chemische Ausfällung bei Verdunstung durch Änderung des Salzgehaltes, pH oder Temperaturänderungen gebildet. Das geht auch ganz einfach im Labor [1].
Technische Lösungen und ihre Probleme
Stattdessen setzt man auf unterirdische Speicherlösungen wie CCS, weil sie als großes Geschäft für eine neue Industrie gelten. CO2 wird aufgefangen, gereinigt, ggf. sehr weit in einem noch zu schaffenden Transportsystem an die Meeresküsten transportiert und in geologische Strukturen injiziert. Diese Methode birgt jedoch zahlreiche Risiken und ist äußerst kostspielig.
Die Idee hinter CCS ist, dass das CO2 in tiefe geologische Formationen injiziert wird, wo es sich im besten Fall in Wasser löst und gleich Karbonate bildet. Allerdings kann dies zu Mikroerdbeben führen [14], und Leckagen sind nicht auszuschließen. Unterirdische Schichten haben oft keine klaren Ränder, was bedeutet, dass das CO2 unkontrolliert in verschiedene Richtungen diffundieren kann. Dies könnte sogar in Grundwasserschichten eindringen und schwerwiegende Umweltprobleme verursachen.
Ein Beispiel aus der deutschen Pilotanlage in Ketzin, wo von April 2004 bis Dezember 2017 CO2-Speicherung betrieben und getestet wurde, zeigt, dass die unterirdische Verteilung des CO2 nicht genau vorhersehbar ist. Von einem hunderte Meter tiefen Injektionsort verteilt sich das CO2 idealerweise punktförmig in der gewünschten Gesteinsschicht. In Realität verteilt es sich in diverse Richtungen, was einerseits zu Verklumpungen sowie andererseits zu weiten Verteilung und ungewollten Austritten führen kann [7] .
Auch in Australien wurde erst kürzlich das „Glencore Carbon Transport and Storage Corporation’s Surat Basin Carbon Capture and Storage (CCS)“ Projekt von den Behörden gestoppt, da es potenzielle Auswirkungen auf die Grundwasserressourcen haben könnte.[9]
In Kanada hat die Firma Capital Power Generation Anfang Mai ein 2,4 Milliarden Dollar teures CCS-Projekt abgesagt. Sie erklärten, dass das Projekt zwar technisch machbar, aber wirtschaftlich nicht tragbar sei.[10]
Climeworks: Ein Lichtblick?
Ein Unternehmen im Bereich der technischen CO2-Senken, das zumindest zum Großteil positiv hervorzuheben ist, ist die Schweizer Firma Climeworks. Deren Technologie fängt CO2 direkt aus der Luft mittels Adsorptions-Desorptionstechnologie ein und es vor Ort gelöst in Wasser in tiefe Bohrlöcher pumpt. Dies hat den Vorteil, dass kein CO2 über weite Strecken transportiert werden muss und Zwischenschritte bei der CO2-Verarbeitung entfallen.
Allerdings ist auch dieser Prozess neben den geologischen Risiken der Untergrundspeicherung, die ggf. auch ständiges Nachbohren in bis zu 1km Tiefe erfordern, derzeit sehr teuer: CCS bei Climeworks kostet etwa 1.200 Euro pro Tonne CO2 [2]. Trotz dieser Effizienzsteigerung bleibt die grundsätzliche Frage bestehen, ob die großflächige technische Speicherung von CO2 im Untergrund der richtige Weg ist.
Wirtschaftliche Überlegungen
Anstatt CO2 unterirdisch zu lagern, könnte es überirdisch genutzt und in verschiedenen Industrien wiederverwendet werden. Magnesiumkarbonat kostet etwa 50 Euro pro Kilogramm, Kalziumkarbonat etwa 20 Euro, und selbst 500 Gramm CO2 kosten in der Soda-Kartusche etwa 10 Euro. Diese Materialien könnten in der Zementproduktion [12] oder für andere industrielle Zwecke eingesetzt werden [13], anstatt sie als Abfall zu betrachten.
Kreislaufwirtschaft statt unterirdischer Lagerung
Wir sollten eine Kreislaufwirtschaft anstreben, in der Materialien wiederverwendet werden, anstatt CO2 unterirdisch, risikoreich und unwiderbringlich zu „lagern“. Das Konzept der „Circular Economy“ zielt darauf ab, Ressourcen effizient zu nutzen und Abfall zu minimieren. CO2 könnte in Wasser aufgelöst, beispielsweise mittels Sole ausgefällt [1] und in überirdischen Lagern deponiert und bei Bedarf wiederverwendet werden. Dies würde nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch die Umweltauswirkungen minimieren. Gleichzeitig würde es die globalen Abhängigkeiten reduzieren, da ein Großteil der Karbonate erst in Minen gewonnen, aufbereitet und in die EU importiert werden müssen [11].
Fazit
Technische CO2-Senken sollen in den nächsten Jahrzehnten auf riesige Mengen hochskaliert werden, um den globalen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Doch anstatt auf unsichere und teure Lösungen zu setzen, sollten wir die natürlichen CO2-Senken fördern und schützen. Die Antwort liegt in einer nachhaltigen und durchdachten Kreislaufwirtschaft, die natürliche Ressourcen schont und gleichzeitig die Umwelt schützt.
CCS mag auf dem Papier eine verlockende Lösung sein, doch die Realität zeigt, dass es weder rentabel noch zuverlässig ist. Die Natur bietet uns bereits die Werkzeuge, um CO2 effektiv zu binden – wir müssen sie nur richtig nutzen und fördern. Trotz der positiven Aspekte von Technologien wie Climeworks sollten wir unseren Fokus auf natürliche Lösungen und eine Kreislaufwirtschaft legen, um langfristig erfolgreich zu sein.
Der deutsche Bundestag wird zeitnah entscheiden müssen, wie Deutschland sich dazu positioniert.
[1] Bang, J.-H.; Yoo, Y.; Lee, S.-W.; Song, K.; Chae, S. CO2 Mineralization Using Brine Discharged from a Seawater Desalination Plant. Minerals 2017, 7, 207. https://doi.org/10.3390/min7110207
[2] Eigene Umrechnung: 1300 US$ sind ca. 1200 EUR. Wert aus: „CO2 aus der Luft zu saugen bleibt teurer als erhofft“, Tagblatt v. 04.03.2024 https://www.tagblatt.ch/leben/co2-filtertechnik-bleibt-teuer-ld.2588960
[3] Abschätzung – aus Fig.2 in Bernal, B., Murray, L.T. & Pearson, T.R.H. Global carbon dioxide removal rates from forest landscape restoration activities. Carbon Balance Manage 13, 22 (2018). https://doi.org/10.1186/s13021-018-0110-8
[4] Daten aus 3. Bundeswaldinventur 2021 https://www.bundeswaldinventur.de/dritte-bundeswaldinventur-2012/waldland-deutschland-waldflaeche-konstant
[5] Daten aus Table 5 in B. Tiemeyer et al., A new methodology for organic soils in national greenhouse gas inventories: Data synthesis, derivation and application,Ecological Indicators, Volume 109, 2020, 105838, ISSN 1470-160X, https://doi.org/10.1016/j.ecolind.2019.105838
[6] Abschätzung – Defizit unter Gesamtpotential von 226 Gt C (entspricht 829 Gt CO2) aus Mo, L., Zohner, C.M., Reich, P.B. et al. Integrated global assessment of the natural forest carbon potential. Nature 624, 92–101 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06723-z
[7] Paper und Ergebnisse www.co2ketzin.de/; Berichterstattung 2023 „Selbst für Geowissenschaftler Kühn [Prof. Michael Kühn, GFZ] ist CCS allenfalls eine Übergangstechnologie“ https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/03/ccs-technologie-brandenburg-co2-unterirdische-speicherung.html
[8]„Beef, soy, and palm oil are responsible for 60% of tropical deforestation“ aus https://ourworldindata.org/drivers-of-deforestation
[9] „Queensland government rejects Great Artesian Basin carbon capture and storage project“, ABC Queensland News,24 May 2024 https://www.abc.net.au/news/2024-05-24/great-artesian-basin-carbon-storage-plan-rejected/103889302
[10]„Capital Power pulls plug on proposed $2.4B Genesee carbon capture and storage project“, Global News, The Canadian Press, May 1, 2024
https://globalnews.ca/news/10463652/capital-power-genesee-carbon-capture/
[11] in 2022 war Deutschland z.B. weltweit zweitgrößter Importeur von Kalziumkarbonat, USA war 4., zweitgrößter Importeur von Magnesiumkarbonat nach USA und größter Importeur von CO2 (siehe https://oec.world/en/profile/hs/calcium-carbonate, https://oec.world/en/profile/hs/magnesium-carbonate, https://oec.world/en/profile/hs/carbon-dioxide)
[12]„CO₂ als Rohstoff: Heidelberg Materials und Linde bauen weltweit erste CCU-Großanlage in einem Zementwerk“,Chemie.de, 13.04.2023 https://www.chemie.de/news/1180142/co-als-rohstoff-heidelberg-materials-und-linde-bauen-weltweit-erste-ccu-grossanlage-in-einem-zementwerk.html
[13]„CO2-Flasche für klimapositives Sprudelwasser – Aligal airmade CO2-Flasche entfernt mehr CO2 aus der Atmosphäre, als das Sprudelwasser erzeugt“, LVT Lebensmittel, 27.04.2020 https://www.lvt-web.de/news/co2-flasche-fuer-klimapositives-sprudelwasser
[14] McNamara, D.D. 2016 Methods and techniques employed to monitor induced seismicity from carbon capture and storage. Lower Hutt, N.Z.: GNS Science. GNS Science report 2015/18. ii, 19 p.; doi: 10.21420/G2X59M